Der Weg ist das Ziel
Jim Jarmuschs Ghost Dog, Dead Man und einige andere
Jarmuschs Filme lassen sich als Fortsetzungen sehen, die alle dasselbe Thema
haben: die Lebensreise. So unterschiedlich seine Filme erscheinen, so zeigen
sie doch alle ein Stück des Weges im Leben der Figuren. In Stranger Than
Paradise fahren drei schweigsame Typen durch die amerikanische Winterwüste.
In Down by Law ist es ein Boot, mit dem die geflohenen Häftlinge ihren
Weg in die Freiheit durch endlose Sumpfgebiete suchen. Den Höhepunkt des
Inneinandergewobenseins von Wegen und komischen Typen stellen die Taxifahrten
in Night on Earth dar. In fünf verschiedenen Städten der Erde erleben
Menschen komisch-belanglose und tragische Dinge. Der Weg ist das Ziel, könnte
demnach als Motto über jedem neuen Jarmusch-Film stehen und eben das trifft
auch auf die beiden letzten Streifen des Regisseurs zu. Konsequent stellte Jarmusch
in Dead Man und seinem neuesten Film Ghost Dog jeweils eine Person in den Vordergrund
und verfolgte mit der Kamera ihre Wege. Vom Western zum Eastern, könnte
man die Entwicklung auch beschreiben, denn Dead Man spielt im Wilden Westen
Amerikas und Ghost Dog bedient sich der altjapanischen Samurailehre. Aber das
sind Äußerlichkeiten, denn so unterschiedlich sind die Wege der Helden
nicht. Beide sind Einzelkämpfer, die ihrem Schicksal bis zum Ende folgen.
William Blake (Johnny Depp) wandelt sich vom ängstlichen jungen Mann, der
mitten in der Wildnis nicht den erhofften Job findet, eher unfreiwillig zum
Verfolgten und schließlich zum kaltblütigen Mörder, um sein
Ziel, das offene Meer, zu erreichen. Ghost Dog (Forest Whitaker) lernen wir
als Profikiller kennen, der als Gefolgsmann eines Kleinganoven nach dem Verhaltenskodex
der Samurai arbeitet und selbst dann den gewählten Weg nicht verlässt,
als sein Tod droht. Weil er einen Fehler begeht, wird er von den Mafiosi gejagt
und quasi zum "Dead Man" erklärt.
Die Vermischung von Lebensstilen, Musikrichtungen und Religionen in seinen Filmen
ist typisch für Jarmuschs Arbeit. In Dead Man treffen sich indianische
Weisheiten mit englischer Lyrik und den düsteren Klängen Neil Youngs
und in Ghost Dog verschmelzen japanische und Rapkultur mit einem Sound, den
Jarmusch eigens von RZA von der Band Wu Tang Clan komponieren ließ. Dead
Man wird gepflegt und belehrt von einem dicken Indianer (genial: Gary Farmer
als Nobody), der, selbst als Ausgestoßener lebend, Williams letzten Weg
begleitet und ihn dem Meer und dem Tod übergibt. Die Weisheiten, die Nobody
von sich gibt, sind rätselhaft und mischen sich mit seiner Verehrung der
Gedichte des Poeten William Blake, den er im Dead Man" zu erkennen
glaubt. Für diesen ist es schwer, aus den Worten seines indianischen Freundes
schlau zu werden, so lange er selbst noch den Vorstellungen der Weißen
und Zivilisierten anhängt. Allmählich kann er sich von seinem alten
Leben lösen und sieht mit anderen Augen. Nicht umsonst nahm ihm Nobody
die Brille weg, um zu behaupten, William würde nun besser sehen. Ghost
Dog folgt einer seinem Kulturkreis ebenso fremden Lehre. Es bleibt rätselhaft
wie ein beleibter Farbiger, der aussieht wie einer der Rapper, denen er auf
den Straßen begegnet, dazu kommt, der Lehre der Samurai zu folgen. Doch
nichts scheint selbstverständlicher als sein schwingender Gang durch New
York auf dem Weg zum nächsten Auftrag und die vorangehende Lektüre
im Hagakure, dem Verhaltenskodex der Samurai.
Waren Jarmuschs frühere Filme eher mit dem Leben und seinen Absurditäten
und Banalitäten beschäftigt, bestimmt nunmehr der Tod Dead Man und
Ghost Dog, denn die Wege der beiden Helden müssen unweigerlich im Jenseits
enden. Weil sie sich in fremdartigen, eben ihren eigenen Welten bewegen, hat
auch der Tod eine andere, mystische Bedeutung, weil er den Endpunkt und das
Ziel des Weges bedeutet. Typisch für diese und auch die früheren Jarmusch-Filme
sind die langen Kamerafahrten, die den Weg der Figuren begleiten, sowie die
Ruhe mit der in wunderbar fotografierten Bildern erzählt wird, egal wie
brutal das Geschehen manchmal wird. Jarmusch will keine Gewaltdarstellungen
um der Gewalt willen und zeigt sie nur, wo sie zum Milieu der Charaktere
gehört. Und seine Killer sind im Grunde sanftmütige Menschen. So gibt
es in Dead Man die tief ergreifende Szene, als sich William als genauso hilfloses
Wesen zu dem toten Rehkitz legt und sich der Himmel über ihnen weitet.
Und Ghost Dog, der seine Brieftauben liebt, hat als besten Freund den Eisverkäufer
Raymond, der nur französisch spricht, und doch immer dieselben Gedanken
hat. Denn die Sprache erscheint nebensächlich in diesen Filmen, wenn es
um Freundschaft geht, zwischen William und Nobody ebenso wie zwischen Ghost
Dog und Raymond.
Wie in jeder guten Fortsetzung legt Jarmusch in seinem neuesten Film Spuren,
die auf die Vorgängerfilme, vor allem auf Dead Man verweisen. Die Schusswechsel
zwischen dem Samurai und den Mafiosi schließen nahtlos an das Finale zwischen
William und den Kopfgeldjägern an. Für Ghost Dogs Ende jedoch griff
Jarmusch auf das prominentere Westernvorbild High Noon (1952) zurück, wie
auch der Film an sich auf den Samuraiklassiker von Melville Der Eiskalte Engel
(1967) zurückverweist. Und als besonderer Leckerbissen für Fans des
dickleibigen Nobody aus Dead Man lässt Jarmusch diesen als langmähnigen
Taubenzüchter nocheinmal auftreten. Johnny Depp war allerdings auch bei
genauerem Hinsehen in Ghost Dog nicht auszumachen, nicht einmal in einer Nebenrolle.
Ghost Dog (USA/F 1999) Regie: Jim Jarmusch Kamera: Robby Müller Darst.: Forest Whitaker, John Tormey, Cliff Gorman, Isaach de Bankolé, Henry Silva u. a. Länge: 116 min; Verleih: Arthaus
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