Drei Farben: Rot
Eine seltsame Unruhe zieht sich durch den ganzen Film. Jeder scheint zu suchen, auf etwas zu warten - und bleibt dabei doch nur für sich. Da ist zunächst einmal Valentine (Irène Jacob), ein Model in Genf, das seine Lebenskraft lediglich aus den für sie kaum zu erwartenden Telefongesprächen mit ihrem (oft eifersüchtigen) Freund Michel zu ziehen scheint, der sich in England aufhält. Spricht sie mit ihm, dann wirkt sie erregt und aufgewühlt; ansonsten starrt sie eher traurig ins Leere. Das Telefon dient dazu, die Sehnsucht und die Einsamkeit zu bekämpfen. Überhaupt ist es als Kommunikationsmittel ausschlaggebend in Kieslowskis letztem Teil der Drei-Farben-Trilogie. Vorausgegangen waren, gemäß der Trikolore, Blau als Symbol für die Freiheit (mit Juliette Binoche) und Weiß für Gleichheit (mit Julie Delphy). Rot steht für Brüderlichkeit. Schon zu Beginn des Films windet sich das Zuschauerauge durch einen Wust von Telefondrähten, die niemals zu enden scheinen. Neben Valentine, die auch mit ihrer Mutter und mit ihrem drogensüchtigen Bruder lediglich übers Telefon Kontakt hat, besitzt das Telefon auch für einen ehemaligen Richter (Jean-Louis Trintignant) große Bedeutung: Der Frührentner sitzt zu Hause herum und hört die Telefongespräche seiner Nachbarn ab. Das Telefon als Machtinstrument. Einer seiner Nachbarn ist eine junge Dame, die am Telefon persönliche Wettervorhersagen gibt. Sie wiederum ist liiert mit Valentines Nachbarn Auguste (Jean-Pierre Lorit), einem Jurastudenten (man kennt sich jedoch nicht). Valentine trifft in dessen Haus auf den Richter, weil sie seine Hündin angefahren hat. Dieser scheint sich jedoch nicht für sein Haustier zu interessieren. Überhaupt wirkt er seltsam apathisch, nicht ganz in dieser Welt. Nicht einmal die Telefongespräche, denen er ganz bewusst verbotenerweise lauscht, scheinen ihn wirklich zu interessieren. Valentine nähert sich dem alten Mann langsam, aber unweigerlich; sie beginnen, einander zuzuhören - umso intensiver ab dem Punkt, an dem er sich selbst anklagt, den Telefonaten seiner Nachbarn gelauscht zu haben (als Folge werfen die Nachbarn seine Fenster ein) und weil er Valentine von einem Traum erzählt, indem er sie glücklich gesehen hat. Später einmal bezeichnet er die Tatsache, über Recht entscheiden zu können, als einen Mangel an Bescheidenheit. Valentine fügt noch den Begriff der "Selbstgefälligkeit" hinzu. Der Film spart nicht mit roten Gegenständen (u. a. ein riesiges Plakat, auf dem Valentine für Kaugummis wirbt), die vor dem Zuschauer auftauchen. Sie fallen besonders ins Auge, weil die Kulissen ansonsten nur spärlich beleuchtet sind, eher düster wirken. Am Schluss reist Valentine über den Ärmelkanal, um Michel zu sehen. Mit an Bord ist Auguste, der angehende Richter, der seine frühere Freundin (die persönliche Wettervorhersagen gibt) mit dessen neuem Lover verfolgt. Das Schiff sinkt jedoch; zu den Überlebenden zählen Valentine und Auguste - nun stehen sich die beiden endlich gegenüber, zuvor waren sie nur für den Zuschauer ein Paar, durch die Kamera für ihn zusammengeführt, indem auf eine Szene mit Valentine eine mit Auguste gefolgt war. Außerdem zeigt uns Kieslowski auch noch Juliette Binoche und Julie Delphy aus den ersten beiden Teilen der Trilogie, die als Überlebende ebenfalls das Schiff verlassen.
Drei Farben: Rot (Trois couleurs: rouge, F/CH/PL 1994) Regie: Krzysztof Kieslowski, Kamera: Piotr Sobocinski, Darsteller: Irène Jacob, Jean-Louis Trintignant, Jean-Pierre Lorit u. a. 99 min. Verleih: Concorde
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