The 6th Day

Arnold Schwarzenegger im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit

Die Frage nach dem filmischen Original hatte Walter Benjamin bereits 1936 geklärt: In einer Maschinerie, wie der Medienproduktion, die von Vervielfältigung lebt und deren Produkt immer schon das "Negativ" ist, bleibt die Frage nach der Echtheit obsolet. Knapp 40 Jahre später griff Jean Baudrillard das Problem ein weiteres Mal auf, jedoch nun in Hinblick auf die medial überflutete Gesellschaft. Auch seine Frage nach dem "Original der Information"wurde negativ beantwortet und werfen darüber hinaus Zweifel am Begriff der "Wirklichkeit" auf. Das 20. Jahrhundert scheint also als eine Epoche der Fälschung, der Kopie, der Simulation entlarvt worden zu sein. Derlei Befunde können sich mittlerweile von den neuesten Errungenschaften der Biotechnik bzw. Gentechnik bestätigen lassen. Kopien lassen sich nicht mehr nur von Medien herstellen, sonder mittlerweile auch von "Individuen" - und zweifeln damit allein schon den Begriff des Individuellen in seiner ursprünglichen Bedeutung - der Unteilbarkeit - an.
In The 6th Day erfährt die gesamte Problematik ihre nun ihre fiktionale Auswertung: Adam Gibson ist ein unbescholtener Familienvater. Er arbeitet bei einer kleinen Charterfluggesellschaft und das höchste Glück der Erde liegt für ihn im Schoße seiner Familie. Er passt so gar nicht die diese Welt "der nahen Zukunft" (wie der Zwischentitel im Prolog angibt): Er hält nichts von geklonten Haustieren, rasiert sich immer noch mit Klingen und nicht mit Lasern und kann auch den Freuden des Cybersex nichts abgewinnen. Doch diese futurkonservative Haltung ist es schließlich, die ihm das Leben rettet, denn er hat während der 126 Minuten von The 6th Day alle Hände voll damit zu tun, die Übel der Zukunft nicht auf seine Weltsicht übergreifen zu lassen.
Als Adam eines Tages den Firmenmulti Michael Drucker, der sich auf das Klonen von menschlichen Organen versteht, zu dessen Skihütte fliegen soll, lässt er sich von einem Kollegen "vertreten", weil er seiner Tochter noch ein Geschenk besorgen möchte. Von diesem "Rollentausch" weiß allerdings die Firma des Kunden nichts und als bei einem Attentat eines Anti-Kloning-Fundamentalisten sowohl der Firmenmagnat als auch Adams Vertretung ermordet werden, klont man kurzerhand beide neu aus kurz vorher gewonnenen Bio- und Gedächtnisdaten. So kommt es dann, dass Adam am selben Abend vom Einkaufen nach Hause kommt und dort sein Pendant vorfindet: Man hat aufgrund des "Rollentausches" ihn geklont und nicht seine Vertretung. Weil das Klonen von Menschen nun aber selbst in der nahen Zukunft noch ein überaus verbotenes Geschäft ist, muss Adam als Beweis für die Straftat aus dem Weg geschafft werden. Ganz in Schwarzenegger-Manier ist der Film zwei Stunden damit beschäftigt genau dies zu verhindern.
The 6th Day scheint auf den ersten Blick ein typischer Hollywood-Kracher zum Jahrtausendwechsel (davon haben wir ja bekanntlich zwei: einmal von 1999 nach 2000 - garniert mit Schwarzeneggers End of Days - und nun der Wechsel ins "
rechnerische" 3. Jahrtausend - von The 6th Day begleitet). Ein moralisch brisantes Thema wird auf ein Schwarzeneggergerechtes Drehbuch übertragen, mit ein wenig pointiertem Wortwitz unterlegt, 3,5 Autoverflogungsjagden und zwei Dutzend Schießereien garniert: und schon haben wir den Action-Blockbuster.
Jedoch ist The 6th Day weit mehr: Das Team um Regisseur Roger Spottiswoode weiß es geschickt die Problematik der medialen, simulakren und genetischen Verdopplung abermals auf der filmischen Ebene anzuspielen. So wird das Bild häufig so stark ineinander verschoben und verzerrt, dass der Zuschauer im wahrsten Sinne des Wortes "doppelt" sieht. Die Thematik wird darüber hinaus auch auf anderen Visuellen Ebenen ausgearbeitet - etwa wenn sich die Protagonisten in den glatt polierten Oberflächen der schönen neuen Welt spiegeln oder im Kaufhauscenter (in dem auch eine Haustierkloning-Firma angesiedelt ist) die Luft von Hologrammen als 3D-Werbetafeln gefüllt ist. Ja selbst die Montage trägt die Züge der Thematik bereits in sich. Ortswechsel werden nicht einfach aneinander geschnitten oder durch Schwarzblenden von einander getrennt, sondern durch eine sich in sich selbst ständig verschiebende nächtliche Luftaufnahme der Großstadt, in der die Handlung angesiedelt ist, separiert. Auch darin wird das Thema ein weiteres Mal changiert: Die Großstadt als ein System der Selbstproduktion und Reproduktion, in der sich der einzelne Mann nicht einfach in der Menge verliert, sondern sich und seine Individualität in ihr auflöst.
Und so weiß man aufgrund geschickter Verquickungen der Erzählung bald nicht mehr, mit welchem Protagonisten man es eigentlich zu tun hat: Ist der Adam der Erzählung nun ein Klon oder das Original? Natürlich entwirren sich die Fäden zum Schluss hin und der Film findet sowohl eine dramaturgisches als auch eine moralisches Auflösung, wenn auch letztere auf den ersten Blick etwas reaktionär anmutet: Adam - nun durch die harte Schule der nahen Zukunft gegangen - besinnt sich auf seine Gegenwart und spielt das Spiel der Gesellschaft einfach mit: Er wird in Zukunft das verstorbenen Hündchen seiner Tochter immer und immer wieder klonen lassen, wird sich wohl fortan auch mit dem Laser rasieren und die Verlockungen des virtuellen Beischlafs auch nicht mehr kategorisch ablehnen. Bleibt nun zu fragen, ob diese politisch völlig unkorrekte Moral des Films tatsächlich ernst gemeint ist, oder ob The 6th Day damit ein weiteres Mal eine Realität simuliert, gegen die es Widerstand aufzubauen heißt.

The 6th Day 
 (USA 2000) 
 Regie: Roger Spottiswoode 
 Buch: Cormac & Marianne Wibberly; Kamera: Pierre Mignot, Musik: Trevor Rabin 
 Darst.: Arnold Schwarzenegger, Robert Duvall, Michael Rooker, Sarah Wynter u.a. 
 Verleih: Columbia Tristar; Länge: 126 Min. 

[Stefan Höltgen]


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