Pornografische
Filme haben in den 90er Jahre ihr Gesicht gewandelt, wie kaum zuvor, seit es
das Genre gibt. So sind mittlerweile die allermeisten Pornokinos geschlossen,
weil der Boom der »Kunstpornografie«, der in den 70er (etwa Damianos Deep Throat
von 1976) und 80er Jahren (Sarah Young) nun vollständig abebbte. Pornografie
eroberte die Videotheken: Mit nahezu 5000 Produktionen pro Monat lässt sich
von diesem Genre wie von keinem anderen behaupten, dass es blüht! Unter einem
solch pornografischen Bildersturm litt und leidet natürlich die Qualität der
Filme: Weg von aufwendigen Produktionen auf 35 mm hin zu »Amateurvideos«. Die
Authentizität der neuen Wohnzimmerpornografie wurde um den Preis der zumindest
manchmal existierenden Aufwendigkeit des Plots und der Settings erkauft. Das
Ergebnis lässt wundern: Nie verliehen sich Pornos so gut wie heutzutage - wohl
weil sie so »echt« wirken. Es gibt ihn aber immer noch - den Qualitätsporno.
Nur kommt der heute kaum noch als solcher daher. Und findet man die wenigen
Filme (wie etwa Der Duft der Liebe) zwischen den zahllosen Covers in der Schmuddelecke,
fällt zunächst nur die angenehme Zurückhaltung der Bildchen auf der Verleihhülle
auf: Keine mitwasauchimmer vollgespritzten Frauengesichter, keine durch Unterdruck
aufgeblähten "Monsterfotzen" (Originaltitel!) und keine unschuldig dreinschauenden
38-jährigen Schulmädchen, die als "Küken" vermietet werden. Einer der wenigen,
der sich auf dem Markt der Hochglanzpornografie etablieren konnte, ist Andrew
Blake. Vormals Photograph für Männermagazine entdeckte er Anfang der 90er Jahre
die Marktlücke und produziert seither regelmäßig und viel. Andrew Blakes Filme
haben charakteristische Eigenschaften, die auf den ersten Blick auffallen: Dahlia
Grey als Hauptdarstellerin und ein
unübersehbarer
Hang zur sogenannten Fetisch-Szene. Blakes Filme kreisen um Kostüme aus Lack,
Leder, Tüll; sie erzählen Geschichten von devoter Sexversklavung und Obsessionen
jenseits jeder Stubensofabumserei. Blake arbeitet dabei fast ausschließlich
mit fester Crew. Neben besagter Dahlia Grey treten zumeist noch Anita Blond
und Lea Martini auf. Männer spielen in Blakes Filmen kaum mehr als Nebenrollen.
Zumeist treten sie als willkommene Abwechslung für die sonst unter- und übereinander
agierenden Darstellerinnen auf und stellen dann auch oft nicht mehr als Fuckmachines
und Spielzeuge der Frauen dar. Auffällig an Blakes Filmen ist vor allem der
Umgang mit Bild und Ton. Äußerst agile Kameraführung und der häufige Wechsel
zwischen Farb- und Schwarz/Weiß-Bildern, Experiment mit verschiedenster Materialkörnung
und der Einsatz von zahlreichen Filtern, Linsen und Spezialeffekten lassen Blakes
Werke schon recht dicht an den Kunstfilm rücken. Der Ton, immer eigens für die
Filme komponierte Musik (oft von Blakes "Hausmusiker" Raoul Valve) liefert die
passende Untermalung für die Bilder: erotischer, mit Elementen afrikanischer
und orientalischer Folklore versetzter Freejazz. Bild und Ton werden dabei so
montiert, dass die Filme dadurch an den Clipstil von MTV erinnern. Gesprochen
wird in Blakes Filmen nur selten (daher vergisst die deutsche Synchro dann auch
schon manchmal Dialogpassagen zu übersetzen, etwa bei Bizarre Woman). Wenn doch,
dann immer auf der Erzählerebene. Ganz selten lässt sich so etwas wie Dialog
vernehmen (klägliche Ausnahme: Venus Descending). Häufige Motive in den Plots
sind Foto- und Filmdreharbeiten, die zum Anlass genommen werden, nackte Frauenkörper
posieren zu lassen. Dabei lassen sich dann auch schon einmal autothematische
Strukturen entdecken: In Bizarre Woman wird ein "erotisches Kino" zelebriert,
bei dem Sklavinnen ihrer Domina als Kinositz dienen und der Film auf nackte
Frauenhaut projiziert wird. Das Ausstellen der eigenen Künstlichkeit der Pornografie
wirkt dabei wie ein Kommentar zu sich selbst. Das einzige, was man den Filmen
Blakes anlasten könnte, ist ihre Langweiligkeit. Die häufig mehr als zwei Stunden
langen »Hardcorevideoclips« genügen sich oft in der abwechselnden (aber wenig
abwechslungsreichen) Darstellung der Körper ihrer weiblichen Hauptdarstellerinnen.
Zwar werden diese in den unterschiedlichsten (und nicht selten kostspieligsten)
Settings präsentiert, doch ändert das tollste Ambiente
nichts
daran, dass sich eine Sache (nämlich die Sache) nicht beliebig oft und beliebig
unterschiedlich variieren lässt. Dies ist wohl auch einer der Gründe, warum
Andrew Blakes Filme »auffallen« und in den Videotheken, in denen sie angeboten
werden, als Geheimtipp gelten: Es sind eben keine stinknormalen Rammelfilmchen
für den »Einmalgebrauch«. Ihre Lektüre zieht sich hin und fordert Auseinandersetzung
mit der Ästhetik der Filme. Und diese wurde und wird oft prämiert: Andrew Blake
hat mit seinen Filmen eigentlich jeden Preis gewonnen, den die einschlägigen
Genrefestivals zu bieten haben; und das lässt sein Verfahren nicht etwa stagnieren:
Blake ist mittlerweile dazu übergegangen, wieder auf 35 mm zu drehen. Dass er
es 1999 trotzdem auf immerhin drei Filme brachte, zeigt, dass seine Werke durchaus
auch ökonomisch erfolgreich sind. In Deutschland freilich bekommt man von der
Andersartigkeit Blake'scher Kunstpornografie nur wenig mit. Seine Filme sind
- wie alle anderen Pornos - »vorausindiziert« und dürfen nicht beworben werden.
Daher fallen selbst exzellente Filme wie Wet oder Pin-Ups nur selten in den
Regalen der Videotheken auf. Den dort die Reihen abschreitenden sind sie unter
aller Wahrscheinlichkeit zu »anspruchsvoll« und diejenigen, die sie ausleihen
möchten, würden sie mit Sicherheit an einer anderen Stelle in der Videothek
vermuten. Vielleicht beim (in Videotheken) ebenso unbeliebten Kunstfilm?
[Stefan Höltgen]
Preise: ANDREW BLAKE's ADULT VIDEO NEWS AWARD NOMINATIONS Las Vegas, January 2000: Best All-Sex Film PIN-UPS, PLAYTHINGS |